Lohnt sich der Film „Ambulance (2022)“? Oder besser: Bringt Jake Gyllenhall wirklich Michael Bay zum weinen?
Früher(tm) wäre die Paarung Gyllenhall – Bay mit Sicherheit durch die Presse gegangen. Man hätte spekuliert ob Michael Bay, der für Machwerke *hust* wie „Transformers“ und viele Milliarden US Dollar in den Kassen der Produktionsfirmen zuständig war und ist, mit Gyllenhall wieder eine Schmonzette wie „The Rock (1996)“ drehen würde, die einmal mehr zwar erfolgreich wäre, aber Leute wie Sean Connery vor lauter Seichtigkeit in den schauspielerischen Dauerfrust treiben würde.
Tatsächlich interessiert das heute außerhalb der Cineasten-Online-Magazine heute niemanden mehr. Der Film wird gedreht, schafft es mehr oder weniger seine Produktionskosten in den Kinos einzuspielen, und wird dann auf irgendeiner Streaming Plattform (die ihn ja auch zumindest teilweise bezahlt haben dürfte) veröffentlicht. Konsum pur.
Neben Katzenvideos auf dem Handy, langen tiefsinnigen Gesprächen über den letzten Tatort und anderen fragwürdigen Ablenkungen wird der Film einfach durchgebinged. Weil Action. Weil Geballer. Weil mehr Action. Weil mehr Geballer.
Und am Schluß bekommt dieses durchaus ansehnliche Werk, voller großartiger Schauspielkunst seitens Jake Gyllenhall (den irgendwie jeder kennen sollte), Yahya Abdul-Mateen II (Übrigens zu Unrecht meistgehasster Schauspieler der Ü40-Matrix-Morpheus-Liebhab-Generation, für seine Morpheus Version 2 im letzten Matrix Nachschlag), Eiza Gonzáles (Wer? Ja, keine Ahnung, aber gut. Merken!) und Garret Dillahunt (Profi-Kotzbrocken, vermutlich ein endlos netter Kerl, wenn keine Kamera läuft) auch noch richtig Sinn implantiert.
Keinen Sinn durch die teils gierigen und fast schon seltsamen Handlungein einiger Beteiligter, aber einen Einblick darin, was den Sinn (des Lebens und des Handelns) für die Akteure ausmacht. Eigentlich bekommt (fast) jeder die Gelegenheit, in ein bis zwei Sätzen sein Credo, seinen Antrieb darzulegen. Man muss nur zuhören.
Die Regie und die Kamera sind nicht nur handwerklich wirklich gut, sie bleiben auch schön „am Ball“. Kein Kubrick, aber doch richtig gut. Als würden Bay und Co mehr können, als Infraschall-synchronisierte präpubertäre Spielzeuggeschichten.
Ich werde hier sicher nicht spoilern, aber wer Filme mag, bei denen viele Hauptdarsteller „Tiefe annehmen“, plastisch und greifbar werden und einem nahe gehen, obwohl man für genau so jemanden eigentlich gar nichts übrig hat, der ist hier richtig.
Noch richtiger wird man, wenn man es mag, dass Menschen gute und weniger gute Seiten haben. Und ich spreche hier nicht vom viel zu überdehnten Antihelden Klischee der letzten zwanzig Jahre. Sondern von Menschen die, teils getrieben von ihrer Herkunft, ihrer nicht gerade freien Existenz, teils aus purer Not, teils aus einer kruden Mischung aus Hybris und Bestimmung, Rollen einnehmen. Rollen, die sie evtl. gar nicht spielen wollen, weil sie eigentlich viel lieber jemand Anderes wären.
Und so richtig richtig(sic!) ist man, wenn man das Ganze in einem Trommelfeuer an Handlung sehen will, das nie abebbt.
Ernsthaft: Dieser Film ist erschöpfend. Nicht ermüdend. Aber erschöpfend. Weil er einem keine Sekunde Pause lässt. Weil selbst wenn nicht die Kugeln fliegen zwischen den Akteuren immer etwas los ist. Und sei es nur die alte Pol und Gegenpol Geschichte. Die möglicherweise ja auch nur von oktroyierten Rollen der Gesellschaft kommt.
So oder so kulminiert der Film in eine ganze Reihe an „Sie schaffen es, sie schaffen es nicht“ Situationen, die eine Acherbahnfahrt mit wenig Alternativen in Sachen Film darstellen. So wenig, dass man klar eines sagen kann:
Dieser Film ist etwas Besonderes.
So richtig.
Er lohnt sich.
Und er lohnt sich nicht nur für Action Liebhaber. Sondern auch für diejenigen, die gerne so richtig gute Schauspieler sehen. Akteure die es schaffen, einen Charakter besonders zu machen, ohne ihn durch zu viel Überspitzung zu zerstören.
Anschauen könnt Ihr den Film übrigens bei Amazon Prime Video (externer Link zu Amazon.de), oder auch irgendwann auf DVD/Blueray.
Eines mag ich noch erwähnt wissen: Bay und sein Drehbuchteam erzeugen eine Szene, die mich an einen meiner all time favorite Lieblingsfilme erinnert:
Das Ultimatum, 1976 (Externer Link zu Amazon.de) mit Burt Lancaster.
Es ist nicht so, dass die Filme viel gemeinsam hätten, aber eine Szene am Schluß scheint für eine kurze Zeit Anleihen zu nehmen. Bis einem klar wird, dass da eben keinerlei Parallele ist. Die vermeintliche Ähnlichkeit kommt nur von der minutenlang aufgebauten Spannung.
Das Ultimatum ist übrigens ein Sahnestück der Filmgeschichte, das nach allen Regeln der Kunst durch die Zeit gefallen ist.
Basierend auf einem Buch von 1971, noch vor Linebacker I und II angesiedelt, kapert ein inhaftierter „verrückt gewordener“ Ex-General, der unter anderem den Bau von Raketensilos für interkontinentale Raketen verantwortlich war, ein eben solches, um den Präsident zur Herausgabe von geheimen Akten über den Sinn und Zweck des Vietnamkriegs zu zwingen.
Aus meiner Sicht vielleicht der beste Film mit Burt Lancaster, aber leider erst 1976 verfilmt und gerade deswegen komplett gefloppt. Niemand wollte 1976 etwas von Vietnam hören. Und schon gar nicht von Burt Lancaster. Und gleich dreimal nicht von Nuklearwaffen.
So blieb der Film ein grandioser Flop, im In- und im Ausland. Und lebt bis heute mit einer imdb.com (Externer Link) Bewertung von gerade mal 6,7/10 Punkten. Dabei hatte er und hat er so viel zu sagen. Über gute Menschen mit guten Beweggründen und Dingen, die man eben nicht aussprechen und publik machen sollte. Weil es zwar legitim erscheint, dafür Kopf und Kragen zu riskieren und „Transparenz alles ist“… bis man fast 50 Jahre später feststellt, dass Transparenz einfach nicht immer alles ist.
„Was ich hier zu sagen hätte, könnte Sie beunruhigen“. Oder so ähnlich. Oder Sie zu falschen Schlüssen bringen. Auch nicht besser.
So oder so: Beide Filme sind eigentlich ein „Must see“. Leider ist Das Ultimatum (externer Link zu Amazon.de) aber nicht im Streaming zu finden, es bleibt nur der Griff zur (remastered) BlueRay.
PS: Das Ultimatum genoß die Regie von Robert Aldrich. Großartiger Regisseur seiner Sparte, der immer auch eine Aussage transportierte, aber das nie auf Kosten der Unterhaltung und der Spannung. Am bekanntesten im deutschsprachigen Raum? Vermutlich „Das dreckige Dutzend (1967)“ mit Lee Marvin, Charles Bronson, Telly Savalas, Donald Sutherland in den Hauptrollen.